Es ist ein leiser, aber spürbarer Wandel im Gange: In einer Zeit, die von technologischem Fortschritt, sozialer Polarisierung und einem Übermaß an Information geprägt ist, wächst zugleich das Bedürfnis nach innerer Orientierung. Immer mehr Menschen spüren, dass Fortschritt allein nicht genügt, wenn er nicht von Sinn, Verantwortung und Gemeinschaft begleitet wird.

Der Philosoph Richard David Precht brachte dieses Gefühl in einem Interview mit dem ZDF treffend auf den Punkt:
„Wir haben uns daran gewöhnt, die Welt nur noch technisch zu denken – aber kaum noch menschlich.“
(Quelle: ZDF, „Precht – Über den Zustand unserer Gesellschaft“, 2023)
Während Datenflüsse, Märkte und Algorithmen den Takt der Moderne bestimmen, drohen die Grundlagen unseres Zusammenlebens – Vertrauen, Empathie, Mitgefühl – leise zu erodieren.
Gesellschaft im Übergang
Überall entstehen neue Formen des Dialogs über Werte und Verantwortung. Menschen suchen nach einem ethischen Fundament, das über materielle Interessen hinausweist. Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas hat dieses Phänomen bereits als „Rückkehr des Religiösen“ beschrieben – nicht im Sinne von konfessioneller Religion, sondern als Wiederentdeckung gemeinsamer moralischer Grundlagen, die unsere Demokratie stützen.
(Quelle: Jürgen Habermas: „Nachmetaphysisches Denken II“, Suhrkamp, 2012)
Die Menschheit steht an einem Wendepunkt: Auf der einen Seite eröffnen Wissenschaft und Technik ungeahnte Möglichkeiten, auf der anderen Seite wächst die Gefahr, dass der Mensch hinter seinen eigenen Systemen verschwindet.
Einheit als Zukunftsaufgabe
In diesem Spannungsfeld erhält die Idee der Einheit neue Bedeutung – nicht als utopischer Traum, sondern als praktische Notwendigkeit.
Die großen Fragen unserer Zeit – Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung, Frieden – lassen sich nur lösen, wenn die Menschheit begreift, dass sie eine gemeinsame Zukunft teilt.
Die Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt schrieb in Vita activa (1958):
„Freiheit ist nichts, was man besitzt – sie ist das, was im Miteinander entsteht.“
Diese Einsicht verweist auf eine zentrale Wahrheit: Einheit bedeutet nicht Gleichmacherei, sondern bewusste Zusammenarbeit in Vielfalt. Sie fordert uns auf, Unterschiede als Bereicherung zu begreifen.
Auch von Seiten der Bahá’í International Community wird dieser Gedanke betont. In einer Erklärung zur globalen Governance heißt es:
„Das Bewusstsein der Einheit der Menschheit ist die Voraussetzung für jegliche kollektive Fortschrittsform.“
(Quelle: Bahá’í International Community, Statement zum „Summit of the Future“, 2024, news.bahai.org)
Eine neue Kultur des Miteinanders
Viele Denker, darunter auch Precht, plädieren für eine Erneuerung des Bildungsbegriffs. In einem Gespräch mit Markus Lanz sagte er:
„Bildung muss wieder Herzensbildung werden – nicht nur Wissensvermittlung.“
(Quelle: ZDF, „Markus Lanz“, Folge vom 14.03.2024)
Ebenso betont Habermas die Notwendigkeit einer „kommunikativen Vernunft“, die den öffentlichen Raum nicht als Kampffeld, sondern als Ort gemeinsamer Sinnsuche versteht.
Diese Haltung findet sich auch in den Prinzipien der Bahá’í wieder: Lernen als sozialer Prozess, Beratung als Werkzeug gemeinsamer Entscheidungsfindung, Dienst am Mitmenschen als Ausdruck geistiger Reife.
All diese Perspektiven verweisen auf denselben Kern – die Notwendigkeit, das Miteinander zu kultivieren. Der gesellschaftliche Wandel beginnt dort, wo Menschen beginnen, anders miteinander zu sprechen und zuzuhören.
Schlussgedanke
Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe unserer Zeit:
Nicht nur Systeme zu reformieren, sondern das Denken zu erneuern.
Nicht nur Strukturen zu schaffen, sondern Vertrauen.
Nicht nur Lösungen zu entwerfen, sondern Sinn zu stiften.
Oder, wie Precht es formulierte:
„Wir werden die Welt nicht retten, wenn wir sie nur verstehen wollen. Wir müssen sie wieder fühlen.“
(Quelle: Richard David Precht, „Von der Pflicht – Eine Betrachtung zur Ethik der Gegenwart“, 2021)
Quellen (Auswahl):
- Richard David Precht, ZDF-Interview (2023), Von der Pflicht (2021)
- Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken II (Suhrkamp, 2012)
- Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben (1958)
- Bahá’í International Community, Statement zum „Summit of the Future“ (news.bahai.org, 2024)

