Die Welt braucht massive Veränderungen. Wie können wir dorthin gelangen?

Die Bahá’í glauben, dass die Welt massive Veränderungen benötigt. Kriege, Ungerechtigkeit, Armut, Rassismus, Aberglaube, Umweltzerstörung und Unterdrückung müssen enden, besagen die Lehren der Bahá’í. ‘Abdu’l-Bahá schrieb:

„Und das ist klar: Eine Kraft, hoch über den Naturkräften, muss notwendigerweise wirksam werden, damit dieses schwarze Dunkel in Licht, dieser Hass und diese Bosheit, dieser Neid und Groll, diese endlosen Kämpfe und Kriege in Freundschaft und Liebe unter den Völkern der Erde verwandelt werden.“(1)

Viele Menschen haben auf diese dringende Notwendigkeit gehört, „diese schwarze Dunkelheit in Licht zu verwandeln“ und ihr Leben dem Herbeiführen dieser Veränderung gewidmet. Die Bemühungen, diese schädlichen Praktiken zu stoppen, sind zum Hauptlebensziel von Millionen Menschen auf der ganzen Welt geworden, und diese beispiellose Aktivität hat eine wachsende globale Bewegung für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen hervorgebracht.

Angesichts dieser massiven Bewegung könnte es möglicherweise eine gute Idee sein, einen Moment innezuhalten und Bilanz zu ziehen, indem wir uns fragen: „Was hat der Drang nach Veränderung bisher erreicht?“

Ich würde diese große Frage folgendermaßen beantworten: In meinem Land, den Vereinigten Staaten von Amerika, hat es während meines Lebens enorme und beispiellose Veränderungen gegeben, darunter drei Haupttrends: die Zunahme des Globalismus, eine erhebliche Gegenreaktion gegen diese Entwicklung und ein vertieftes Bewusstsein für unabhängiges Denken und Handeln.

Von Nationalismus zu Globalismus

Im vergangenen Jahrhundert hat sich die gesamte Welt historisch von Nationalismus zu Globalismus bewegt. Niemand blieb von diesem allgegenwärtigen Trend unberührt.

Der Hüter des Bahá’í-Glaubens, Shoghi Effendi, beschrieb in einem visionären Brief von 1936 an die Bahá’í der Welt mit dem Titel „The Unfoldment of World Civilization“ die Kräfte der Globalisierung als Vorbote für:

„Das Hervortreten einer Weltgemeinschaft, das Bewusstsein des Weltbürgertums, die Begründung einer Weltzivilisation und Weltkultur … sollten ihrer wahren Natur nach, was dieses planetarische Leben anbelangt, als die äußersten Grenzen für die Organisation der menschlichen Gesellschaft angesehen werden…“(2)

Vor weniger als einem Jahrhundert, nach dem verheerendsten Krieg der Menschheit, wurde die Vereinte Nationen als eine zarte Realität ohne ausreichende Zustimmung der ganzen Welt gegründet. Diese globale Organisation umfasste die Sieger des Zweiten Weltkriegs als Führer im Sicherheitsrat – aber heute sind alle Nationen der Welt in diesem Gremium vertreten, was einen bedeutenden Wandel vom Nationalismus zum Internationalismus in den dazwischenliegenden Jahrzehnten darstellt.

Der globale Handel, Reisen und Handel haben sich dramatisch erhöht und eine wachsende Bewusstseinsbildung vieler Menschen als Weltbürger statt Bürger eines einzigen Landes gefördert. Die Schnelligkeit der Kommunikation, die Abnahme der nationalen Grenzen und die zunehmende Effizienz aller Transportmittel haben zu dieser Weltpolitik beigetragen.

Als Herausforderungen für alle Menschen haben die globalen Krisen des Klimawandels und des Artensterbens dazu beigetragen, dass dieses aufstrebende globale Bewusstsein entsteht und weiter wächst. Denn die Probleme der Menschheit werden nun als sowohl globale Ursachen als auch hauptsächlich globale Lösungen betrachtet. Wirtschaftlich und intellektuell ist die Menschheit vollständig voneinander abhängig geworden, und unsere Art, uns zu identifizieren und zu regieren, hat sich als Reaktion auf diese Realität zwangsläufig verändert.

Die Bahá’í-Lehren erkennen diese bedeutenden Bewegungen an und ermutigen sie in Richtung Erreichung unserer Einheit und gegenseitigen Abhängigkeit. Shoghi Effendi schrieb in „The Unfoldment of World Civilization“, dass dieser fortlaufende Globalisierungsprozess in weltweitem Maßstab dem vorherigen Zusammenschluss der Vereinigten Staaten zu einem föderierten System ähnelt.

„Eine derart einmalige, bedeutsame Krise im Leben der organisierten Menschheit kann überdies mit dem Höhepunkt in der politischen Entwicklung der großen amerikanischen Republik verglichen werden – einem Stadium, das durch die Bildung einer vereinten Gemeinschaft verbundener Staaten gekennzeichnet war. Ein neues Nationalbewusstsein regte sich, ein neuer Kulturtypus war geboren, unendlich reicher und edler als irgendeiner, den die völkischen Bestandteile dieser neuen Nation, jeder für sich, hätten zu erreichen hoffen können. Auf solche Weise, kann man sagen, ist die Mündigkeit des amerikanischen Volkes verkündet worden. Innerhalb der gebietsmäßigen Grenzen dieser Nation ist jene Vollendung als der Höhepunkt in der Entwicklung menschlicher Regierung zu betrachten. Die mannigfachen, nur lose verbundenen Teile einer getrennten Gemeinschaft wurden zusammengebracht, vereint und zu einem ganzheitlichen System verschmolzen. Auch wenn diese Ganzheit weiter wachsende innere Anziehungskraft gewinnen kann, auch wenn die vollzogene Einheit weiter gefestigt werden mag, auch wenn die Kultur, die nur aus dieser Einheit geboren werden konnte, sich ausbreiten und blühen mag, lässt sich doch sagen, dass der für diese Entfaltung lebenswichtige Apparat damals aufgebaut und der für ihre Steuerung und Erhaltung notwendige Anstoß damals vermittelt worden ist. Über diese Vollendung der nationalen Einheit hinaus ist in den geographischen Grenzen jener Nation keine weitere Entwicklungsstufe vorstellbar, wenngleich die höchste Bestimmung ihres Volkes als Bestandteil einer noch größeren, die ganze Menschheit umfassenden Ganzheit noch unerfüllt bleibt. Betrachtet man jene Nation als gesonderte Einheit, dann lässt sich sagen, dass dieser Vorgang der Einswerdung seine höchste, endgültige Vollendung erreicht hat.

Das ist auch die Stufe, der sich eine in der Entwicklung befindliche Menschheit gemeinsam nähert. Die Offenbarung, die der Allmächtige Gebieter Bahá’u’lláh anvertraut hat, ist nach dem festen Glauben Seiner Anhänger mit Möglichkeiten ausgestattet, wie sie der Reife des Menschengeschlechts, der krönenden, folgenschwersten Etappe…“(2)

So steht es um die Stufe, die eine sich entwickelnde Menschheit gemeinsam anstrebt. Die von Gott dem Allmächtigen Bahá’u’lláh anvertraute Offenbarung ist, so glauben seine Anhänger fest, mit solchen Potenzialen ausgestattet, die dem Reifegrad der menschlichen Rasse entsprechen – der krönende und bedeutsamste Schritt in ihrer Entwicklung …“

Ohne Frage wird dieser planetare Trend in Richtung eines aufstrebenden globalen Bewusstseins weiter an Bedeutung gewinnen.

Die Gegenreaktion gegen Globalismus

Aufgrund dieser historischen Verschiebung vom Nationalismus zum Globalismus hat sich eine Gegenreaktion entwickelt – eine rückwärtsgewandte Bewegung, die sich nach autoritärer Herrschaft sehnt, nach einer Rückkehr zu alten Vorurteilen und Spaltungen und nach dem, was Historiker als „das amerikanische Jahrhundert“ bezeichnen, in dem die USA als führende Nation der Welt angesehen wurde, als die letzte verbleibende Supermacht, voller militärischer Macht und einer muskulösen Form von „Freiheit“ – die in Wirklichkeit eine sehr eingeschränkte Vorstellung von Freiheit für einige Privilegierte war, die keine ethnischen Minderheiten oder Frauen einschloss.

Diese desintegrierende Gegenreaktion, die sich nach den alten Tagen und den alten Wegen sehnt, ist lauter und aggressiver geworden. Ihre Befürworter haben die wesentliche Einheit der Menschheit entschieden abgelehnt und die alten Lockgesänge von Rassismus, Nationalismus und Materialismus verkündet. Letztendlich kann eine solche Gegenreaktion jedoch nicht erfolgreich sein, da sie auf einer verblassenden Vision vergangener Glanzzeiten beruht, anstatt eine Vision anzustreben, die auf die Zukunft gerichtet ist und die spirituellen Energien einer von Shoghi Effendi als “ Umfassende Gärung“ bezeichneten Bewegung nutzt:

„Wenn wir die Welt um uns betrachten, können wir nicht umhin, die mannigfachen Beweise der umfassenden Gärung wahrzunehmen, welche die Menschheit in jedem Teil des Erdballs und auf jedem Gebiet des menschlichen Lebens im Vorgefühl des Tages, an dem die Ganzheit des Menschengeschlechts anerkannt und ihre Einheit begründet sein wird, läutert und neu gestaltet. Ein zweifacher Vorgang lässt sich hier jedoch unterscheiden, wobei jeder dieser beiden Prozesse auf seine eigene Weise und mit wachsender Schwungkraft darauf angelegt ist, jene Mächte, die das Antlitz unseres Planeten umgestalten, zum Höhepunkt zu führen. Der erste Vorgang ist dem Wesen nach ein Integrationsprozess, während der zweite von Grund auf zersetzend ist. Im Zuge seiner stetigen Entwicklung entfaltet der erste Prozess ein System, das recht wohl als Modell jenes Weltgemeinwesens dienen kann, zu dem eine seltsam in Unordnung geratene Welt beständig fortschreitet. Demgegenüber führt der zweite Prozess in dem Maße, wie sein zersetzender Einfluss sich vertieft, zu einem immer gewaltsameren Niederreißen der veralteten Schranken, die den Fortschritt der Menschheit zu ihrem vorbestimmten Ziel zu hemmen drohen. Der aufbauende Prozess ist verknüpft mit dem jugendlichen Glauben Bahá’u’lláhs; er ist der Vorbote der neuen Weltordnung, die dieser Glaube bald errichten muss. Die zerstörerischen Mächte, die den anderen Vorgang kennzeichnen, sollten mit einer Zivilisation gleichgesetzt werden, die ihre Antwort auf die Erwartung eines neuen Zeitalters verweigert hat und demzufolge in Chaos und Niedergang verfällt.“(4)

Eine Veränderung in unserem kollektiven Bewusstsein

Begleitend zu diesem „zweifachen Prozess“ äußerer gesellschaftlicher Veränderungen hat auch eine innere Veränderung im kollektiven Bewusstsein der Menschheit stattgefunden und dauert weiter an.

Diese Veränderung, getrieben von Geist und unabhängigem Denken, wird nicht mehr durch herkömmliche gesellschaftliche Normen, politische Macht, traditionelle Religion oder überlieferte Weisheit eingeschränkt. Höhere Bildung, die einst auf wenige beschränkt war, ist weit verbreitet geworden. Technologische Fortschritte wie das Internet haben den Zugang zu Informationen demokratisiert. Kulturelle Vorurteile sind verschwunden. Als Ergebnis haben die Menschen begonnen, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen, sei es durch Bildung und Selbstbildung, moderne Medien oder ihre eigene individuelle Erkundung von Ideen.

Während dieser Renaissance des Verstandes sind die alten religiösen Institutionen verlassen worden und können jüngere Generationen nicht mehr halten. Die üblichen Denk- und Verhaltensweisen werden in fast allen Bereichen menschlicher Bestrebungen in Frage gestellt. Dies hat sowohl positive als auch negative Aspekte – wissenschaftlich und technologisch gesehen, hat es sich als großer Segen für die Menschheit erwiesen, aber in Bezug auf Verschwörungstheorien, fantastisches Denken und Paranoia über die Motive anderer fordert es uns heraus, uns kontinuierlich darum zu bemühen, unsere Kinder und die Kinder aller Menschen besser zu bilden.

Zusammenfassend lässt uns diese Veränderung wissen, dass wir uns in der Zeit der Adoleszenz der Menschheit befinden – turbulent, schnell reifend und mit großer Energie ausgestattet. Die Welt wird jetzt die nächste Stufe unserer universellen Entwicklung mit der weisen Reife des Erwachsenseins bewältigen müssen, indem sie unsere sehr ernsthaften Verantwortlichkeiten füreinander annimmt und den Planeten zu einem einzigen gastfreundlichen Zuhause für alle Lebensformen vereint.

  • ‘Abdu’l-Bahá, Briefe und Botschaften, Auflage 4.01-online (2021-09-29), bibliothek.bahai.de, Bahá’í Verlag 2021, #23:8
  • Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Auflage 3.04-online (2022-03-19), bibliothek.bahai.de, Bahá’í Verlag 2022, #7:7
  • Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Auflage 3.04-online (2022-03-19), bibliothek.bahai.de, Bahá’í Verlag 2022, #7:11-12
  • Shoghi Effendi, Die Weltordnung Bahá’u’lláhs, Auflage 3.04-online (2022-03-19), bibliothek.bahai.de, Bahá’í Verlag 2022, #7:23

DAVID LANGNESS vom 31. Mai 2023 mit freundlicher Genehmigung von bahaiteachings.org – Übersetzung Mazloum Media, Druck & Verlag, 2023

(Die in unseren Inhalten zum Ausdruck gebrachten Ansichten spiegeln individuelle Perspektiven wider und stellen nicht die offiziellen Ansichten des Bahá’í-Glaubens dar. Als offizielle Quelle weltweit dient z.B. bahai.org als Seite oder für Deutschland bahai.de)

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