Über Den Wahren Reichtum Des Seins

von ‘Abdu’l-Bahá

Würde und Bedeutung alles Erschaffenen hängen von Ursachen und begleitenden Umständen ab.

Vortrefflichkeit, Schmuck und Vollkommenheit der Erde bestehen darin, durch die Gaben der Frühlingswolken grün und fruchtbar zu sein. Pflanzen wachsen, Blumen und duftende Kräuter entstehen, fruchttragende Bäume kommen in Blüte und bringen frische und köstliche Früchte hervor. Gärten erblühen prächtig, die Auen stehen in bunter Zier, Berge und Felder legen grüne Kleider an, und Gärten, Wiesen, Dörfer und Städte legen den schönsten Staat an. Darin liegt das größte Glück des Mineralreichs.

Der höchste Sinn und die Vollkommenheit des Pflanzenreichs finden sich darin, dass ein Baum am Ufer eines Baches mit klarem Wasser wachsen kann, dass frische Winde über ihn wehen und die Sonnenstrahlen auf ihn fallen, dass ein Gärtner ihn pflegt und er sich Tag für Tag entfaltet und Früchte trägt. Sein wahres Glück aber ist sein Aufstieg zum Tier- und Menschenreich, indem seine Früchte das ersetzen, was im Körper von Tier und Mensch verbraucht wurde.

Das Wesentliche für das Tierreich ist, vollkommene Glieder, Organe und Kräfte zu besitzen und alle Bedürfnisse stillen zu können. Dies ist seine Hauptzierde, seine Würde und Bedeutung. So ist es das größte Glück für ein Tier, eine grüne und fruchtbare Wiese, klares, fließendes Wasser und einen schönen, grünen Wald zu haben. Wenn für all dies gesorgt ist, kann es kein größeres Glück geben. Baut zum Beispiel ein Vogel sein Nest in einem grünen, fruchtbaren Wald, an schöner, hochgelegener Stelle, auf einem starken Baum und an der Spitze eines luftigen Astes, und findet er alles, was er an Körnern und Wasser braucht, so ist dies für ihn vollendetes Glück.

Aber das wahre Glück für die Tiere besteht im Aufstieg vom Tier zum Menschenreich, wie die Kleinlebewesen, die durch Wasser und Luft in den Körper des Menschen eindringen und von ihm aufgenommen werden und das ersetzen, was von ihm verbraucht wurde.

Dies ist die größte Ehre und das wahre Glück für das Tierreich; keine größere Ehre ist für es denkbar. – Es ist also deutlich und klar, dass Fülle, Behagen und materieller Überfluss das volle Glück der Minerale, Pflanzen und Tiere bilden. Kein Reichtum, kein Vermögen, keine Bequemlichkeit und kein Behagen kommen dem Überfluss des Vogels gleich; all die Bereiche der Felder und Berge sind seine Wohnung, alle Körner und Früchte seine Nahrung und seine Schätze, und alles Land mit Dörfern, Wiesen, Weiden, Wäldern und einsamen Gegenden ist sein Besitz. Wer ist nun reicher, dieser Vogel oder der Vermögendste unter den Menschen? Soviel auch der Vogel Körner verwenden oder verschenken mag, sein Überfluss vermindert sich nicht.

Damit ist klar, dass Würde und Wert des Menschen mehr sein müssen als weltlicher Reichtum; materielle Annehmlichkeiten sind nur ein Zweig, aber die Wurzel menschlicher Größe sind gute Eigenschaften und Tugenden, die der Schmuck seiner Wirklichkeit sind. Dieser liegt in den göttlichen Erscheinungen, den himmlischen Gaben, den edlen Gefühlen und in der Liebe und Erkenntnis Gottes. Er ist umfassendes Wissen, geistige Wahrnehmung, wissenschaftliche Entdeckungen, Gerechtigkeit, Unparteilichkeit, Wahrhaftigkeit, Güte, natürlicher Mut und angeborene Seelenstärke; Rücksicht und Einhaltung von Verträgen und Bündnissen; Geradheit unter allen Umständen und Dienst an der Wahrheit in allen Lebenslagen; Aufopferung für das allgemeine Wohl und Güte und Achtung für alle Völker; Gehorsam gegenüber den göttlichen Lehren und Dienst im Reiche Gottes; Lenkung der Menschen und Erziehung der Nationen und Rassen. Dies ist das wahre Glück der Menschenwelt! Dies ist die Größe der Menschen in dieser Welt! Dies ist immerwährendes Leben und himmlische Ehre!

Solche Tugenden können nur durch die Kraft Gottes und die göttlichen Lehren im Menschen lebendig werden; denn sie bedürfen übernatürlicher Kraft, um offenbar zu werden. Es kann sein, dass in der natürlichen Welt Spuren dieser Vollkommenheit erscheinen, aber sie sind ohne Beständigkeit und Dauer; sie gleichen Strahlen der Sonne auf einer Mauer. Gott in Seiner Güte hat dem Menschen eine leuchtende Krone aufs Haupt gesetzt. Darum müssen wir uns bemühen, dass ihre strahlenden Edelsteine in der Welt sichtbar werden.

 

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‘Abdu’l-Bahá, Beantwortete Fragen

Bahá’í-Verlag GmbH, Hofheim-Langenhain, 3.Auflage 1977

 

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